🌺Zweck des Kendo🌺

Toshio Matsumoto (Kendo Hanshi, 8. Dan)

Die alte Schwertkunst hatte das Ziel, den Feind mit dem Schwert zu besiegen, indem man Technik und körperliche Stärke schulte. Doch mit dem Wandel der Zeiten veränderte sich auch dieses Ziel.

Auch wenn heute mit dem Bambusschwert (Shinai) trainiert wird, hat Kendo seinen Ursprung im Schwertkampf. Daher kann man nicht von wahrem Kendo sprechen, wenn es nicht mit der inneren Haltung des Ernstes (Makoto) betrieben wird.

Das Training im Kendo findet unter der Vorstellung statt, sich in einer Situation zu befinden, in der man selbst schlagen oder geschlagen werden könnte – also in einem Zustand höchster geistiger Anspannung.

Zwar ist das Ziel im Kendo, den Gegner zu treffen, ohne selbst getroffen zu werden, doch um das zu erreichen, ist mehr nötig als nur Technik: Man muss in der Lage sein, seine geistige Ruhe zu bewahren. Nur wenn der Geist ruhig ist, kann die Technik vollständig zur Geltung kommen.

Deshalb besteht das wahre Ziel des Kendo darin, die Reinheit und Aufrichtigkeit des Geistes zu suchen. Der Geist – das Fundament der Technik – soll frei von Anhaftungen sein. Während man seine Technik verbessert, soll auch der Geist geübt werden.

Ideal ist es, wenn Geist und Technik sich im Training stets gemeinsam entwickeln. Ein gĂĽltiger Treffer erfolgt nicht aus einem unkontrollierten Impuls heraus, sondern in dem Moment, in dem man die innere Unruhe des Gegners spĂĽrt. Ăśberhastete oder grundlose Angriffe fĂĽhren nur zur eigenen Niederlage.

Zum richtigen Zeitpunkt treffen:

  • Nicht ĂĽberstĂĽrzen, sondern in die Leere treffen.
  • Sofort treffen, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
  • Dort treffen, wo der Gegner steht – oder wo er erschöpft ist.

Typische Gelegenheiten fĂĽr einen Treffer sind:

  1. Wenn der Gegner zögert oder unsicher wird.
  2. Wenn er sich beeilt und dabei öffnet.
  3. Wenn er emotional verhaftet ist – etwa wenn er den Wunsch zu treffen nicht loslassen kann.
  4. Wenn er erschöpft ist und seine Haltung verliert.

Auch die vier „Dämonen des Kendo“ sind zu beachten:

  • Ăśberraschung
  • Angst
  • Zweifel
  • Missverständnis

Diese vier Zustände sind Ausdruck eines unruhigen Geistes – und genau dann entstehen Lücken in der Haltung. Diese geistige Unruhe überträgt sich auf die Körperhaltung – und eröffnet dem Gegner Chancen.

Selbst wenn man eine solche Lücke beim Gegner erkennt, muss man bereit und gleichzeitig innerlich leer sein, um sie wirklich nutzen zu können. Nur mit einem „unschuldigen“ (unvoreingenommenen) Geist erkennt man klar, was der Gegner tut – und kann flexibel und natürlich reagieren.

Im Zen spricht man vom „normalen Geist“, einem Zustand innerer Leere, von Absichtslosigkeit und Selbstlosigkeit. Dieser Zustand mag schwer erreichbar erscheinen, aber mit regelmäßigem Training kann man ihm näherkommen.

Vielleicht hast du selbst schon erlebt, dass dir in einem Training oder Kampf ein besonders guter Treffer gelang, ohne dass du wusstest, warum. In solchen Momenten war dein Geist frei von bewusster Absicht – voller Energie, aber nicht von Gedanken gelenkt. Solche Erfahrungen gilt es zu mehren.

Um selbst nicht getroffen zu werden, muss man ruhig bleiben – auch das ist Teil des Trainings.

Was dafĂĽr notwendig ist:

  1. Das grĂĽndliche Erlernen der Kendo-Grundlagen.
  2. Das Verständnis für die Prinzipien des Schwertes und das ständige Verbessern der Technik.
  3. Der feste Glaube, unbesiegbar zu sein – unabhängig von der Richtung, aus der der Angriff kommt.

Wie oben beschrieben, sollen Angriff und Verteidigung so trainiert werden, dass man stets den „normalen Geist“ bewahren kann – mit Hilfe des Weges des Schwertes.

Ein solcher ruhiger, gefestigter Geist – frei von Ego, nicht von Emotionen gesteuert, standhaft im Leben – lässt sich auch außerhalb des Dōjō nutzen: indem man die Meinungen anderer achtet, Aufgaben effizient bewältigt und seinen eigenen Charakter weiterentwickelt.

Dies, so glaube ich, ist die wahre Tugend des Schwertweges.